Vor einigen Monaten hatten wir auf dieser Seite einen Triple-Review zu Aladdin veröffentlicht. In einer im Nachhinein gesehen, leicht durchgeknallten Aktion hatte unser Autor Kai innerhalb von drei Tagen den Originalfilm, die Musical-Variante in Stuttgart und am letzten Tag den 2019er Live-Action-Film gesehen. Und… er hats wieder getan. Diesmal mit dem König der Löwen in Hamburg…

Seit fast 18 Jahren wird Der König der Löwen in Hamburg gespielt und bislang hatte ich noch nicht die Gelegenheit gehabt nach Hamburg zu fahren. Da mir die Musical Varianten von Aladdin und Der Glöckner von Notre-Dame in Stuttgart sehr gefallen hatten, wollte ich mir auch einmal die Musical-Version vom Löwenkönig anschauen. Als ich dann im vergangenen September meinen Jahresurlaub antrat, stand ein Besuch in Hamburg ganz oben auf meiner Wunschliste. Und auch diesmal sollte es ein Triple-Feature geben. An Tag 1 gab es das Original, an Tag 2 den Live-Action-Film von 2019 und an Tag 3 das Musical. Im Nachhinein war dies wohl die beste Entscheidung gewesen, um die unterschiedlichen Varianten am besten miteinander zu vergleichen. Doch springen wir erstmal zurück zu dem Aladdin Triple. 

Im Mai habe ich mir mal Aladdin – Das Musical in Stuttgart gegönnt

Wenn man sich alle drei Varianten getrennt voneinander anschaut, erlebt man zwar die gleiche Story in drei verschiedenen Interpretationen, die aber jede auf ihre eigene Art und Weise einen eigenen Charme haben. Am deutlichsten sieht man dies an den zwei herausstehendsten Figuren: Dschinni und Jasmin. Im Originalfilm ist die Figur von Robin Williams (und Peer Augustinski in der deutschen Fassung) die lustigste und aufregendste Figur im gesamten Film. Das erste Drittel des Films zeigt zu anfangs das Leben von Aladdin und Jasmin, aber erst mit dem ersten Auftreten des Dschinni wird der Film erst so richtig lustig. Viel von Dschinnis Humor kommt dabei von Robin Williams Improvisationskünsten, die von keiner anderen Figur im gesamten Film erreicht werden kann. Im Gegensatz dazu ist die Musical-Version des Dschinni fast schon eine Art Deadpool, der die ganze Zeit mit dem Publikum spricht und oftmals die vierte Wand einreisst. Will Smith’s Version ist zwar ebenfalls ein adäquater Dschinni, der aber einen anderen Humor hineinbringt, der mehr zum Thema passt, aber dafür deutlich zahmer ist als Williams Interpretation oder sein Broadway-Counterpart.

Die zweite Person ist Jasmin. Innerhalb der „neuen“ klassischen Disney-Filme der 90er Jahre ist Jasmin eine der bekanntesten und stärksten Disney-Prinzessinnen neben Belle oder Arielle. Interessanterweise hat sie im originalen Film zwar eine starke Präsenz im Film gehabt, aber kein eigenes Thema oder eigenes Solo-Lied (neben dem Duett A Whole New World). Dies änderte sich aber mit dem Broadway Musical, bei der sich ihr Thema mit dem Lied These Palace Walls etabliert. Im 2019er Film bekommt Jasmin allerdings eine absolute Power-Ballade, die sich eigentlich fast schon auf Let It Go-Niveau befindet, das brilliant von Naomi Scott eingesungen wurde. Im Nachhinein kann man schon sagen, dass sich der Aladdin-Stoff innerhalb der drei Versionen stark verändert hat. Der Originalfilm musste seinerzeit mehrfach umgeschrieben und umgebaut werden, bis er zu dem Film wurde, der schliesslich veröffentlicht wurde. Mit dem Broadway-Musical konnte man dann Fehler des Originals ausbügeln, und damit letztendlich auch eine bessere Grundlage für den Live-Action-Film liefern. Doch eigentlich wollte ich hier über den König der Löwen schreiben.

Der König der Löwen aus dem Jahr 2019 ist zwar ein Meisterwerk heutiger Animationstechnologien und Special Effects. Von der Story her ist der Film aber eher ein HD Remaster als ein Remake oder Reboot des Originalfilms. Quasi das Link’s Awakening für die Switch aus dem Jahr 2019 im Vergleich zum Originalspiel für den Gameboy aus dem Jahr 1993. Ein Crash Team Racing 2019 oder ein Pokémon Let’s Go zur originalen gelben Pokémon Edition. Theoretisch könnte man den Originalfilm mit der 2019er Live-Action Version nebeneinander legen und es parallel abspielen. Kamera-Einstellungen und Musik sind fast identisch zueinander. Ich hab auf meinem SD-Stick derzeit beide Versionen von Circle of Life gespeichert. Ich kann nicht unterscheiden, ob ich jetzt das Original aus dem Jahr 1994 oder die neue Version von 2019 höre, so ähnlich sind beide Versionen zueinander. Klar, hier und da gibt es kleine Änderungen: John Oliver ist im Vergleich zu Rowan Atkinson eine deutlich bessere Version von Zazu, insbesondere wenn man seine Show bei HBO kennt, Last Week Tonight. Billy Eichner und Seth Rogen sind großartig als Timon und Pumbaa, Beyoncé bringt für einen kurzen Moment die neue Power-Ballade Spirit in den Film. Es sind kleine Schliffe hier und da, die den Film minimal verändern. Den deutlichsten Einschnitt ist da eigentlich nur die Veränderung von Be Prepared oder Seid bereit im Deutschen. Das Original zeigt die Machtfreude und den Wahnsinn von Scar deutlich, den er gegenüber seinem Bruder Mufasa hat. Die 2019-Variante ist fast schon eine Ansprache, eine Kampfansage. Aber kein Song.

Und dann war ich im September in Hamburg im König der Löwen.

Bei Aladdin’s Musical-Interpretation gab es im Vergleich zum Original viele Veränderungen, die aufgrund der Bühnendarstellung gemacht werden mussten. Aus Aladdin’s Affe Abu wurden drei verschiedene Freunde, mit denen Aladdin oft unterwegs ist. Aladdin’s Ertrink-Szene wurde zu einer Gefängnisszene in einem dunklen Kerker. Der Fliegende Teppich ist nur bei A Whole New World zu sehen und fliegt relativ statisch über die Bühne, während die Schauspieler auf dem Teppich mit schlecht sichtbaren Seilen in der Luft gehalten werden. Beim Musical vom König der Löwen konnte man auf solche Einschränkungen verzichten, da die meisten Figuren entweder mit Hilfe gigantischer Masken, cleveren Kostümen und beweglichen Puppen von den Schauspielern dargestellt werden. Dementsprechend kann die Hauptstory des Originalfilms gut auf die Bühne übertragen werden, insbesondere die erste Hälfte funktioniert ohne großartige Veränderungen. Die meisten Veränderungen gibt es aber in der 2. Hälfte nach der Pause. Die Pause ist hier intelligent gelegt, denn sie erfolgt direkt nach Hakuna Matata, dem Song, in dem Simba langsam zum Erwachsenen wird. Dies bedeutet also, dass in der ersten Hälfte nur die Kinder-Darsteller von Simba und Nala auftreten (insbesondere täglich abwechselnd für die jungen Darsteller), während die erwachsenen Stamm-Darsteller erst in der 2. Hälfte auftreten. 

Beyoncé’s Songs Spirit und Bigger aus dem Konzeptalbum „The Lion King: The Gift“

Und hier gibt es den grossen Unterschied zum Originalfilm, denn die erwachsenen Versionen von Nala und Simba haben ausser Can You Feel The Love Tonight im Original eigentlich keine eigenen Solo-Nummern, hier jedoch schon. Dies wertet die zweite Hälfte der Musical-Version deutlich auf, aber fehlt krasserweise vollkommen in der 2019er Version, denn hier haben wir mit Donald „Childish Gambino“ Glover und Beyoncé Knowles-Carter zwei musikalische Megastars. Zwar gibt es mit Spirit einen kurzen Aussschnitt zu neuen Songs, die Beyoncé herausgebracht mit dem Konzeptalbum „The Lion King – The Gift“. Allerdings kann man sich durchaus die Frage stellen, wie sehr der Film hätte anders werden können, wenn man mehr Mut für Veränderungen gehabt hätte und das Talent der Stars genutzt hätte. Insbesondere beim Abspann wird dies deutlich, denn Elton Johns neuer Song „Never Too Late“ ist zwar ein normaler Popsong, aber weit entfernt von seinen genialeren Liedern aus den 70ern oder 80ern wie Your Song, Believe oder halt Circle of Life. Insbesondere seit dem genialen Black Panther Soundtrack zeigte sich, dass Rap und Hip Hop gepaart mit afrikanischen Sounds einen grossen Erfolg haben kann… und Preise wie den Oscar oder einen Grammy gewinnen kann. Interessanterweise hat sich gerade jetzt Elton John zur Musik des Films öffentlich geäussert und sich darüber beschwert, dass er sich kaum in den Film einbringen konnte. Wenn man sich allerdings anschaut, wie viel Material von Beyoncé neu eingebracht wurde, ist Elton wahrscheinlich nicht der einzige, der sich beschweren könnte.

Elton John’s Never Too Late aus dem Abspann

Dies ist dann auch der Punkt, an dem ich (wie schon bei Aladdin) das Musical als beste Iteration empfinde des Stoffes. Neben der klassischen Story gibt es erfrischende und erstaunliche Nebenplots. An einem Punkt nach der Pause sinniert Scar darüber, wieso er einen anderen Weg eingeschlagen hat als sein Bruder und den Grund daran sieht, dass er nie eine Gefährtin gefunden hatte… und sucht sich dann für kurze Zeit Nala als potentielle Gefährtin aus. WTF? Was für ein Creep. Ebenfalls interessant sind die Solos von Rafiki und dem erwachsenen Simba, sowie eine Szene, in der Timon bei einem Sturz von einem Wasserfall fast stirbt. Scars Bösewichts-Hymne „Seid bereit“ wird im Musical an einer Stelle sogar zu einer 80er Jahre Disco-Nummer mit ziemlich vielen Kuhglocken im Hintergrund. Fuck Yeah! Solche Momente fehlen vollkommen in der Live-Action-Version. Moment. Eigentlich ist nur eine Szene wirklich mit einer Kamera gefilmt worden. Sagen wir… Photorealistisches HD-Remaster. Deshalb ist mein finales Voting zwar ähnlich wie bei Aladdin, dass die Musical-Variante klar mein Favorit ist. Bei den beiden hinteren Plätzen würde ich hier aber hier den Originalfilm von 1994 auf dem zweiten Platz und die 2019er Variante auf Platz 3.

Jon Favreau gab via Tweet die Szene bekannt, die im Film wirklich real mit einer Kamera geschossen wurde.

Versteht mich nicht falsch. Der König der Löwen (2019) ist immer noch ein sehr guter Film, aber ich sehe auch das verschenkte Potential dieses Films, wenn man sich mehr getraut hätte. Denn letztendlich fühlte sich der Film für mich eher an wie ein Proof-of-Concept, also eine Machbarkeitsstufe, dass man einen Animationsfilm aus den 90ern 1:1 neu erschaffen kann und dennoch über eine Milliarde US-Dollar eingespielt werden kann. So gern ich Jon Favreau als Regisseur und Filmemacher schätze, sehe ich ein Problem, dass dies durchaus Schule machen könnte. Denn das würde Filme vorhersehbar machen, ohne Überraschungen und ohne Inspirationen. Und das wollen wir alle nicht, oder? Was die deutsche Version angeht, fand ich es schade, dass man auf ein ähnliches Casting wie bei Hella von Sinnen verzichtet hat. Ich fand dies durchaus eines der Highlights der deutschen Fassung des Originals, was mir hier in der 2019 noch zusätzlich gefehlt hat. Die 7,5, die mein Kollege juliansson damals vergeben hat, kann ich da vollkommen mitgehen.